Wie hältst Du’s mit der Wahrheit, Werbung?

Der Dokumentarfilmer Prof. Günther Klein über seine Eindrücke beim ADC-Grand Prix:

Der Unterschied zwischen Designern und Werbetreibenden liegt darin, dass Design in die Tiefe geht und Werbung notwendigerweise an der Oberfläche bleibt. So erklärt mir Michael Eibes, Sprecher des DDC-Vorstand, kurz und bündig den Unterschied zwischen den zwei Berufsgruppen.

So ganz geklärt sind die Verhältnisse in dieser Branche für mich als Außenstehenden ohnehin nicht: Ist so ein Werbemensch nun bloß ein schnöder Verkäufer oder ein genialer Künstler? Ein begnadeter Gestalter oder ein raffinierter Taschenspieler, dessen einziges Ziel es ist, möglichst große Produktmengen an den Mann zu bringen? Was unterscheidet all diese Vermarkter voneinander, dessen gemeinsame Aufgabe doch die Erhöhung der Verkaufsquote ist? Sicherheitshalber spricht die Branche selbst von Kreativen, wenn sie nach Selbstdefinitionen sucht.

Der Werbung haftete von jeher der Ruch des Halbseidenen an, auch wenn die Werbebranche selbst gesellschaftlich betrachtet immer noch von einem Image zehrt, das Modernität, Dynamik und Erfolg verspricht. Kreative Werbeleute sitzen in den schicksten Büros, fahren die stylischsten Autos, tragen die angesagtesten Brillen. Schaut man auf die Werbung selbst, so erinnert manches da eher an das Geschrei traditioneller Marktplatz-Krämer, die mit vielen schrillen Worten ihre zweifelhaften Waren einem zögernden Publikum anzudrehen versuchen. Der griechische Philosoph Platon reservierte vor über 2000 Jahren in seiner Utopie einer idealen Gesellschaft, seiner sogenannten Politeia, den Verkaufsplatz auf dem Markt den völlig Unbegabten, also denen, die im Gegensatz zu Handwerkern und Denkern unfähig seien, irgendetwas zu produzieren. Heute werden bei den Zuschauern des Privatfernsehens die aufwendig und teuer hergestellten Werbeunterbrechungen auch gerne für den Toilettengang genutzt, weil ansonsten eher als störend empfunden. Kunden des zeitversetzten Fernsehens sehnen auf ihrer Menütastatur längst die ‚Überspringfunktion‘ herbei. Werbung erscheint nicht nur Platon, sondern auch den meisten modernen Menschen eher als überflüssig, ja nicht selten als lästig.

Als ich Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts als sehr junger Dokumentarfilmer für das ZDF die Reisebilder aus der DDR drehte, wurde mir bewusst, was Werbung so alles anrichten kann. Als Mitbringsel hatte ich stets ein paar attraktive West-Waren im Gepäck, und zunächst wurden auch die Schokoriegel mit der Aufschrift Mars begierig konsumiert. Aber die Begeisterung wich, trotz des unbestritten guten Geschmacks. Ich fragte nach. Nun, antwortete traurig mein Ost-Kameraassistent, der von der DEFA beigestellt war, gewiss, der Schokoriegel schmecke schon sehr gut, aber der Effekt habe sich überhaupt nicht eingestellt. Was für ein Effekt denn?

Nun, im Westfernsehen heiße es doch: »Mars macht mobil bei Arbeit, Sport und Spiel« – er aber habe nicht die geringste Mobilitätssteigerung verspürt, selbst nach dem Verzehr von sieben Riegeln auf einmal!

Später habe ich dann in der Noch-DDR immer wieder Diskussionen darüber geführt, warum etwa Meister Propper die stumpfen Fliesen der VEB Keramik eben nicht so sauber putzt, dass man sich drin spiegeln kann, und dass Dash nicht immer so weiß wäscht, dass es weißer nicht geht, und wie die Unterscheidung zwischen sauber und rein zu definieren sei, auf der die Waschfrau Clementine im West-Fernsehen dauernd herumreite. Ich tat das alles ab mit der Bemerkung, Werbung sei eben eine institutionalisierte Lüge, die die West-Wirtschaft einfach brauche. Und daran glauben, ja daran glauben würde bei uns im Westen sowieso niemand. Der nachdenklichen Frage meines Kameraassistenten, warum denn überhaupt etwas gesagt werden müsse, wenn es doch ohnehin keiner glaube, entzog ich mich durch schnelle Flucht ins Berufliche. Aber im Kern, so dachte ich mir, liege da wohl der Hund begraben. Eben die Gretchen-Frage: Wie hältst Du’s mit der Wahrheit, Werbung?

Vorletzte Woche erinnerte ich mich wieder daran. Zwei meiner Film-Studenten baten mich, Tipps zu geben, wie denn der Schulterschluss zwischen echten Filmemachern und Werbefilmern herzustellen sei. Die beiden arbeiten an einem Konzept für den ADC-Nachwuchs und wollen die Kreativarbeit der jungen Werbenden auf eine breitere Basis stellen. Weg vom Schmuddel-Image der kommerziellen Abhängigkeit hin zu freierer Kreativität. So wie auf den Filmfestivals!

Ich würde den beiden ja so gerne helfen, aber leicht ist der Graben sicher nicht zu überwinden. Ich erinnere, was mir der jetzt 80-jährige Oskar-Preisträger, Schauspieler und Regisseur Maximilian Schell sagte, als ich einmal bei Dreharbeiten meinte, sein wunderschönes Altersgesicht sei doch der ideale Werbeträger: Er habe trotz vieler Angebote niemals Werbung gemacht, weil er sich selbst gehöre und kein Verkaufsartikel sei. Basta. Ähnlich sagte es mir der Regisseur Werner Herzog, der immer wieder mit seinen ambitionierten Werken die dornigen Wege der Filmfinanzierung beschreitet und dabei der Versuchung des schnellen Werbegeldes aber nicht erliegt. Herzog hebt die Hände zum Himmel: Gott beschütze ihn davor, dass seine Inhalte in irgendeine Abhängigkeit vom Kommerz geraten mögen.

Dass heute zunehmend Moderatoren, Talkmaster und sogar Journalisten dem Ruf des schnellen Geldes folgen und sich deswegen vermehrt der Werbung andienen, tut dem Grundproblem grundsätzlich keinen Abbruch: Gesellschaftlich wichtige Anliegen und kommerzielle Interessen lassen sich kaum solide verehelichen. Es handelt sich vielleicht sogar um zwei getrennte Kommunikationswelten, die nur zufällig das gleiche Produktionsmittel benutzen, die Kamera. Und die sich nur aus diesem Grunde gelegentlich verwechseln.

Wie ungelenk der Paarungsversuch von Wahrhaftigkeit und quotenstarker Vermarktbarkeit ausfällt, zeigt der diesjährige ADC-Grand Prix-Gewinner: Es geht da um die etwas absonderliche Idee, die Publikationen im World-Wide-Web unter eine gewisse Zensur zu stellen, insofern, als dass die Druckbarkeit bestimmter PDF-Dateien gezielt verhindert werden soll. Als WWF-Datei gespeicherte Informationen werden elektronisch so aufbereitet, dass der User nicht mehr in der Lage ist, sie auszudrucken, sie also nicht schwarz auf weiß besitzen kann, um sie getrost nach Hause zu tragen, wie es sich einmal Dichtergenie Goethe für jeden wertvollen Gedanken gewünscht hat.

Solche Bevormundung des Internet-Nutzers findet hier und da bereits statt und ist auch manchmal verständlich, etwa wenn Autoren den Computerausdruck ihrer Texte verhindern, weil die Bücher, aus denen diese Texte stammen, gekauft werden sollen. Jetzt aber passiert mit der Einführung der WWF-Software etwas gänzlich Neues: Die Bevormundung des Internet-Nutzers kommt jetzt im modischen Kleidchen der Weltrettung daher. Wenn weniger ausgedruckt werde, werde auch weniger Papier verbraucht. Und wenn weniger Papier verbraucht werde, müssten nicht so viele Bäume sterben. Ergo verhindere WWF den Niedergang tropischer Regenwälder – so assoziieren die Bilder des dramatisch gestalteten Werbetrailers. Für so viel Welt- und Menschenliebe gibt‘s dann schnell mal einen ADC-Grand Prix.

Einmal davon abgesehen, dass einem ernsthaften Dokumentarfilmer ein solcher Film um die Ohren gehauen würde, weil die uralten Teakholzbäume, die man da unter dem Geknatter schwerer Motorsägen im brasilianischen Regenwald fallen sieht, mit Sicherheit niemals der Papierherstellung dienen, haftet der inhaltlichen Durchdringung der Materie durchgängig der Makel einer Falschaussage an. Jedes Kind könnte es wissen, wenn es auf sein als holzfrei ausgewiesenes Schulheft blickt, dass die Ermordung des Regenwalds keineswegs von der Papierindustrie betrieben wird. Wenn in Brasilien Regenwälder verschwinden, dann vielleicht in Folge der ausufernden Edelmöbel-Herstellung, im Wesentlichen aber als Ergebnis illegaler Brandrodungen, durch die riesige Waldflächen in Ackerland verwandelt werden. Der Klimawandel tut außerdem sein Teil. Mit Papierherstellung hat das alles aber nichts zu tun.

Seitdem der Regensburger Theologe Christian Jacob Schäffer bei der Beobachtung von Wespennestern um 1760 auf die Idee kam , Papier aus zerriebenen Holzfasern herzustellen, ernährt sich die Papierindustrie, soweit sie Holz nutzt, von den massenhaft nachwachsenden Weichhölzern und billigen Holzabfällen. Außerdem funktioniert das Recycling von Papierabfällen heute technisch recht gut. Besonders in den skandinavischen Ländern wird ganz gezielt dieser ökologische Rohstoff angebaut und geerntet, so ähnlich wie Tomaten, Kartoffeln oder Weizen auf den Äckern dieser Welt. Im waldreichen Deutschland fällt durch regelmäßige Windbrüche jede Menge Abfallholz an, das nur noch für die Papierherstellung taugt. Was im Übrigen noch nicht mal an der glücklichen Tatsache rüttelt, dass es in Deutschland heutzutage mehr Bäume gibt, als je zuvor in der Geschichte dieses Landes.

All das könnte man wissen. Und man sollte es auch wissen. Wenn man einen Grand Prix für eine Aktion auslobt, die sichtbar um Inhalte bemüht ist und die den Ehrgeiz reklamiert, nicht bloß dem Schönen Schein zu dienen. Irgendwie kommt da doch das Wort von Herrn Eibes wieder in den Sinn, dass Werbung hauptsächlich etwas mit Oberfläche zu tun habe. Diese Grand Prix-Entscheidung macht das empfindlich sichtbar.

Wenn sich Werbung wirklich für Inhalte interessieren will, woran diese Grand-Prix-Entscheidung gelinde zweifeln lässt, dann müssen sich auch Werbestrategen dem schwierigen Geschäft der inhaltlichen Recherche stellen: Genauigkeit und sorgfältige Durchdringung des Stoffs, den man bearbeitet, statt effekthaschender Flunkerei.

Dass derlei Nachhaltigkeit aber nur zögerlich an die Werbetreibenden herangeht, zeigte gestern Abend noch etwas anderes: Riesiger Beifall und ein viele Tausend Watt teures Lichtgeflute aus ganzen Bataillonen von Scheinwerfern anlässlich der Nagel-Vergabe – ausgerechnet für einen Beitrag zum Thema Stromsparen. Und hat eigentlich einmal einer der Juroren nachgerechnet, wie viel Papier und Pappbecher der ADC während der Vorbereitung und Durchführung seines Kongresses verbraucht hat…?

Foto von Netzreporter Andreas Baier.

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