Exklusiv – das Netzreporter-Interview mit dem Marburger Kamerapreisträger 2017

Luca Bigazzi über Erfolg, das Glück des Filmemachens, das Unglück des persönlichen Stils, die Bedeutung des deutschen Films, den Unsinn von Schulen sowie Tipps für den Filmnachwuchs im 21. Jahrhundert.

„Ich bin froh diesem Beruf machen zu dürfen und denke, dass ich viel Glück hatte bisher. Als ein kompletter Autodidakt musste nie als Kameramannassistent oder als Kameramann für jedmand anderes arbeiten. Ich hatte das Glück, mit 23 meinen ersten Film als Chefkameramann drehen zu dürfen. Ich kann mich wirklich nicht beschweren.“

„Ich glaube nicht, dass ich eine persönlichen Stil habe. Es gibt nichts, was ich bevorzuge oder was ich nicht mag. Ich mache einfach, was der Film von mir verlangt. Wenn jemand also zu mir sagt, dass er meinen Stil erkannt hat, dann ist das schmerzhaft für mich. Dann habe ich das Gefühl etwas falsch gemacht zu haben. Ich möchte keinen persönlichen Stil haben.“

„Manchmal glaube ich, dass der Zuschauer dem Chefkameramann eine wichtigere Rolle gibt, als er in Wirklichkeit hat. Die Regisseure legen ja die Einstellung und den allgemeinen Ton des Films fest. Wir führen das nur aus.“

„Wenn ich eine gute Eigenschaft an mir selbst nennen muss, ist es, dass ich schnell bin. Die Geschwindigkeit dient dem Reichtum des Films. Denn je mehr Zeit ich beim Setzen des Lichts oder beim Einstellen von elegantem Licht verliere, desto mehr Zeit nehme ich dem Film seinen Einstellungen und den Schauspielern weg. “

„Ich habe ein gewisses Misstrauen gegenüber Schulen, nicht der Schule allgemein, sondern nur den technischen Schulen gegenüber. Ich zweifle daran, dass das filmische, technische Wissen in einer Schule vermittelt werden kann. Die filmische Technik, und das gilt nicht nur für Kameramänner, ist eine kontinuierliche Entwicklung.“

„Das Lernen von jemand anderem, der mehr Erfahrung hat und älter ist, bringt oft eher Rückschritte mit sich. Denn wenn ich jemandem meine Arbeit erkläre, laufe ich Gefahr, ihm veraltet Dinge zu sagen, weil mein Wissen in der Vergangenheit verankert ist, in der es noch die Filmrolle und so weiter gab. Jetzt, wo es die Filmrolle nicht mehr gibt, muss man diesen Beruf wieder neu erfinden auf der Basis von Beleuchtung und Einstellung. Ich vermisse die Filmrolle übrigens nicht. Deswegen ist es für die, die diesem Beruf ausüben möchten am wichtigsten, diese Arbeit einfach zu machen.“

„Junge Menschen sollen mit anderen jungen Menschen zusammenarbeiten, eine Filmgruppe gründen und Filme drehen. Das ist die beste Schule. Dank der Digitalisierung ist alles viel einfacher als früher, es kostet weniger, ist vielseitiger und anpassungsfähiger.“

„Ich mache diesen Beruf dank des deutschen Kinos. In den 70er, 80er-Jahren, als ich erst als begeisterter Kinogänger und später als junger Filmemacher angefangen habe, liebte ich das deutsche Kino. In diesen Jahren hat uns das neue deutsche Kino von Wenders, Herzog und Fassbinder und andere gelehrt, dass man Filme machen kann, die die Realität beschreiben. Es war ein poetisches Kino, aber gleichzeitig realitätsnah.
Es konnte über die Gesellschaft reden und gleichzeitig politische Aspekte reinbringen. Meine Leidenschaft für das deutsche Kino hat mich dazu gebracht, diesen Beruf aufzunehmen. Deswegen muss ich mich bei Deutschland bedanken.“

hFMA Netzreporterteam: Flora Balestra, Jiyeon Cha, Lisa Klein, Tjorven Lauber, Rüdiger Pichler

 

Über hFMA NETZREPORTER

hFMA NETZREPORTER (nr) ist ein interdisziplinäres journalistisches Format mit Reportagen, Interviews, Dokumentationen bis hin zu künstlerisch freien Film- und Medienbeiträgen von Festivals, Kongressen, Wettbewerben, Preisverleihungen u.v.a. hFMA NETZREPORTER-Beiträge unter: www.hfmanetzreporter.wordpress.com, www.youtube.com/hfmakademie, www.hfmakademie.de Verantwortlich: Prof. Rüdiger Pichler c/o Hochschule RheinMain Die Hessische Film- und Medienakademie (hFMA) ist ein Netzwerk von 13 hessischen Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissenschaften und Kunsthochschulen. Kontakt: Anja Henningsmeyer Geschäftsführerin Hessische Film- und Medienakademie (hFMA) Tel: +49 (0)69 83046040 Adresse: hessische Film- und Medienakademie (hFMA), Ostpol, Hermann-Steinhäuser-Str. 43-47, 63065 Offenbach am Main www.hfmakademie.de
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